Rieke Smit
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6 Tipps für Medienhäuser: Wie erreicht man die Generation TikTok?

Bin ich Social-Media-abhängig? Was bedeutet eigentlich Cash-Stuffing? Was hat der Ukraine-Krieg mit unserem Alltag zu tun? Verdichtete Fakten, schnelle Schnitte, ungewöhnliche Locations so sehen Nachrichten auf den Kanälen von Social News Daily aus. Rieke Mit, Redakteurin vom Dienst, gibt Tipps aus der Praxis.

2024-08-24 — Rieke Smit

Aktuelle Fragen werden in maximal 90 Sekunden im 9:16-Format auf TikTok und Instagram beantwortet. Warum? Um junge Menschen zu erreichen, die nicht mehr wissen, wieso sie News überhaupt konsumieren sollten. Denn während Kim Ly Kimchi kocht, teilt sie journalistisch geprüfte Fakten. 

 

„Ich weiß nicht, was Nachrichten mit meinem Leben zu tun haben.“ Der Satz einer 16-jährigen Studienteilnehmerin von #UseTheNews steht stellvertretend für das, was viele junge Menschen fühlen. Artikel zu lesen oder Nachrichtensendungen zu schauen, selbst journalistische Inhalte auf Social Media zu verfolgen, ergibt für die sogenannten Gering-informationsorientierten, die unter den 14- bis 24-Jährigen rund ein Drittel ausmachen, keinen Sinn. 

 

Herausfinden, wie man junge Menschen mit Nachrichten erreicht

 

Die Meldungen sind ihnen zu negativ, ziehen sie runter oder sind nicht wichtig für ihren Alltag. Das sind nur einige Argumente von jungen Menschen, die sagen, dass Nachrichten, die für sie wichtig sind, sie sowieso irgendwann erreichen. Wirklich aktiv danach suchen, müsse man nicht. Dabei ist Nachrichtenkompetenz, sich informieren zu können und dabei verschiedene Perspektiven einzunehmen, die Grundlage unserer Demokratie. Und die jungen User von heute sind die möglichen Abonnent:innen von morgen.

 

Herauszufinden, wie junge Menschen trotzdem mit Nachrichten erreicht werden – das ist die Aufgabe des Social News Desk. Dafür hat #UseTheNews im Rahmen des Jahres der Nachricht mit einem zehnköpfigen Team aus Creators, Journalist:innen und Medienpädagoginnen einen Experimentierraum geschaffen. Hier wird seit Januar 2024 zusammen mit Medienpartnern aus ganz Deutschland getestet, wie man an die Generation TikTok herankommt. Ein Jahr lang sind die Räume des Bürger:innensenders TIDE auf dem Kunst- und Mediencampus Finkenau in Hamburg das Labor der Redaktion. Von Sludge-Content, Videos mit PowerPoint-Präsentationen bis Straßenumfragen, kann hier alles getestet und verworfen werden, um der informierten Gesellschaft wieder ein Stück näherzukommen. Dabei gab es einige Learnings, die wir heute teilen wollen.

"Es muss nicht nur schnell, sondern sehr schnell gehen – spätestens nach drei Sekunden springen die Userinnen und User ab." Rieke Smit, Redakteurin v. Dienst Social News Daily

So funktioniert Journalismus für TikTok

 

  1. Nicht “cringe” rüberkommen
    Es braucht Formate, die nah genug an den Sehgewohnheiten der Userinnen und User sind, aber gleichzeitig nicht eine gewisse Schwelle überschreiten, also nicht „cringe” rüberkommen dürfen. Sich anpassen, aber nicht aufdrängen, lustig sein, aber nicht übertreiben, das ist die Devise.
     
  2. Es muss schnell gehen
    Es muss nicht nur schnell, sondern sehr schnell gehen – spätestens nach drei Sekunden springen die User:innen ab. Nur, wenn was Spannendes passiert oder eine Frage aufgeworfen wird, deren Antwort man wissen möchte, dann bleiben die Nutzer:innen hängen. Am besten passiert alles gleichzeitig: Daphne malt ein Porträt von Olaf Scholz, während sie über seinen neuen TikTok-Account spricht; Elli macht ihr Make-up und klärt nebenbei darüber auf, wie viel Geld für die Rente gespart werden sollte.
     
  3. Individuelle Plattformstrategien
    Es bedarf individueller Strategien für die einzelnen Plattformen. Die Nutzer:innen auf TikTok konsumieren ihre Inhalte anders als die auf Instagram. So ersetzt TikTok in der Generation Z und Alpha inzwischen häufig die Google-Suche. Für die sogenannte „Social Search” oder umgangssprachlich das „tiktoken” sind dann die Thumbnails, also die Teaserbilder der Videos auf der „For You Page“, von besonders großer Bedeutung. Auch Instagram setzt seit längerem auf Reels und ihre eigene Version der „For You Page”. Trotzdem scheint hier immer noch eine große Rolle zu spielen, welchen Accounts gefolgt wird. Das Gegenteil passiert auf TikTok. Hier scheinen die wenigstens Nutzer:innen den Accounts zu folgen, die sie mögen. Stattdessen wird sich, so scheint es, auf den Algorithmus verlassen und darauf, dass die für einen selbst interessanten Inhalte automatisch wieder im eigenen Feed landen.
     
  4. Wiedererkennungswert
    Wenn der Algorithmus einem immer wieder vor Augen führt, was man zwar cool findet, man sich deshalb aber nicht merkt, woher es kommt, dann ist der Wiedererkennungswert besonders wichtig. Branding ohne überladen zu wirken, Videostrukturen, die in Erinnerung bleiben und Hosts vor der Kamera, mit denen sich die Zielgruppe identifizieren kann. Das sind Dinge, mit denen wir gute Erfahrungen gemacht haben.
     
  5. Spezifische Auswertung
    Die Spezifika der Plattformen sollten auch bei dem Monitoring der Social-Daten mitgedacht werden. Bei TikTok liegt unser Fokus deutlich stärker auf den Views der einzelnen Videos als auf der Anzahl der Follower:innen.
     
  6. Jedes Video für sich
    Ein Aspekt, der wichtig ist, aber im Redaktionsalltag schwer umzusetzen ist: Jedes Video muss alleine betrachtet werden. Das, was gut läuft, einfach nur zu kopieren scheint vor allem auf TikTok nicht zu funktionieren. Zum Leidwesen jeder Social-Media-Redaktion lässt sich der Algorithmus so gut wie gar nicht in die Karten schauen. Was gestern gut lief, könnte morgen schon ein Flop werden. Deshalb ist eine der wichtigsten Erkenntnisse: Wir müssen agil bleiben, Neues ausprobieren und Dinge wagen. Gerade wegen diesem letzten Punkt springt der Social News Desk nach nur neun Wochen Produktion von Reels und TikTok-Videos wieder ins kalte Wasser: Social News Daily geht live. Natürlich ist eine solche Spontanität in herkömmlichen Redaktionen nicht immer möglich. Trotzdem sollte man Social-Media-Teams Freiräume schaffen, um Dinge auszuprobieren.
TikTok_SocialNewsDaily.png
TikTok-Kanal von Social News Daily

Dass in der Umsetzung dieser Erkenntnisse journalistische Standards eingehalten werden, ist selbstverständlich. Nur so wird ein Vertrauensverhältnis zwischen Social News Daily (SND) und den Gering-Informationsorientierten geschaffen. Fehler können dabei trotzdem passieren. Hier greift ein weiterer Kernaspekt des SND – die Transparenz unserer Arbeit. Wie funktioniert eine Redaktion, wie arbeiten wir mit Influencern zusammen und wie reagieren wir bei Fehlern? Das sind nur ein paar Fragen, die mit dem Format „Journo101“ erklärt werden sollen. Denn gerade Menschen, die kaum etwas mit Nachrichten zu tun haben oder diesen vielleicht sogar misstrauisch gegenüberstehen, soll das die Möglichkeit geben, mit uns ins Gespräch zu kommen und hinter die Kulissen des Journalismus zu schauen. 

Essenziell hierfür ist vor allem das Community-Management. Auf Fragen antworten, sich für persönliche Geschichten zu bedanken, aber auch Hass und Hetze zu blockieren, ist extrem wichtig, um einen sicheren Ort des Austausches zu schaffen. Gerade dann, wenn dieser Aspekt zum Beispiel aufgrund von Zeit oder Geldmangel schnell hintenüberfällt. Nur eine lebendige Community gibt einem das zurück, was es braucht, um innerhalb eines Experimentierraums wie dem unseren nah an der Zielgruppe zu bleiben – Diskussionen und Nachrichten, die wirklich von Interesse für junge Menschen sind.

 

Dieser Text ist (in leicht veränderter Form) als Teil des BDZV-Digitalreports 2024 erschienen. Der komplette Report ist für Mitglieder auf der Website vom Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger abrufbar.