Aktivismus und Journalismus – passt das zusammen?
Ein Interview mit Kai Gniffke, Intendant vom SWR und bis Ende 2024 Vorsitzender der ARD, von Melissa Körner und Kim Ly Lam – über neue Herausforderungen im Journalismus, Social Media Content Creation und junge Zielgruppen.
Wie passen Aktivismus und Journalismus zusammen?
Nicht gut. Aktivismus ist das, was jeder für sich entscheiden muss. Welche Ziele er verfolgt und auch welche inhaltlichen Präferenzen er hat. Das ist das Schöne an unserem freien Land, dass jeder das machen kann und halten kann, wie er es mag. Journalismus ist da aber was anderes: Journalismus bedeutet, dass wir nach bestimmten Kriterien und nicht nach den eigenen Präferenzen Themen und Dinge aufbereiten.
Wir versuchen, den Leuten aus möglichst allen Perspektiven einen Sachverhalt zu erläutern und eben nicht nur aus der Perspektive der Aktivistinnen und Aktivisten. Insofern würde ich Aktivismus und Journalismus immer versuchen, möglichst zu trennen.
Wann ist Journalismus nicht mehr Journalismus, sondern Aktivismus?
Ein Aktivist, der wirbt zum Beispiel dafür, dass Menschen weniger Auto fahren sollen. Und das finde ich, sollten wir journalistisch nicht tun. Aufgabe des Journalismus ist es, zu zeigen, wie der Klimawandel sich dramatisch zuspitzt und welchen Beitrag zum Beispiel der Straßenverkehr dazu hat. Was die Menschen dann daraus machen und welche Konsequenz sie draus ziehen, sollten wir dann den Menschen selbst überlassen. Wir sollten ihnen nicht schon durch unsere Berichterstattung eine bestimmte Konsequenz nahelegen.
Zeitgleich nehmen wir als Journalist:innen Einfluss auf die Themen. Zum Beispiel, indem wir bestimmen, was berichtet wird und was nicht. Fließt da unsere Haltung nicht mit ein?
Das darf keine Rolle spielen. Aber natürlich beeinflussen wir das, worüber diskutiert wird. Unsere Themenauswahl unterliegt bestimmten Kriterien, aber diese Kriterien sind klar definiert über unseren Auftrag. Sie sind definiert über journalistische, handwerkliche Grundregeln und was da nicht drinsteht, ist der eigene Geschmack, die eigene
Präferenz. Bei uns geht es aber darum, dass wir die Perspektivenvielfalt abdecken.
Auch wenn wir persönlich oder viele von uns anderer Meinung sind. Es geht darum, dass konträre Positionen in einer wertschätzenden Weise ausgetauscht werden. Dann haben alle Meinungen ihren Platz, sofern sie eben nicht gegen die Menschenwürde, die guten Sitten oder gegen Gesetze verstoßen.
"Die Menschen sehen zwar, dass da steht, ich bin hier privat, aber sie differenzieren eben nicht."
Wenn man jetzt als Journalist:in auf Social Media ist, ist es schwierig, die Privatperson und die öffentliche Person voneinander zu trennen, vor allem als Leser:in oder als Zuschauer:in des jeweiligen Mediums.
Das ist wohl so und da haben wir schon wirklich unsere Erfahrungen gemacht. Die Menschen sehen zwar, dass da steht, ich bin hier privat, aber sie differenzieren eben nicht. Und je bekannter jemand ist, der eben für ein Medienhaus arbeitet – also sei es eine Moderatorin oder ein Moderator oder sei es eine Chefredakteurin oder eine prominente Korrespondentin –, desto mehr muss man sich bewusst sein, dass die Menschen eben nicht differenzieren. Und deshalb sage ich ganz klar, desto mehr sollte man sich auch in der öffentlichen, inhaltlichen Positionierung zurückhalten, weil es immer negative Auswirkungen auf unsere Glaubwürdigkeit, auf das Vertrauen der Menschen in unsere Unabhängigkeit haben kann.
Wie ist das mit journalistischen Formaten, in denen Redaktionen bewusst die Entscheidung treffen: Wir wollen Hosts einstellen, die keine Journalist:innen sind – sondern Influencer:innen. Wie bewertest du diese Entwicklung?
Gemischt. Ich unterstütze die Redaktionen in ihrer Experimentierfreude. Ich unterstütze Redaktionen auch darin, dass wir Influencerinnen und Influencer brauchen, um Zielgruppen zu erreichen, an denen wir im Moment noch vorbeisegeln. Da bin ich auch risikofreudig. Gleichzeitig gilt das, was ich vorher gesagt habe, und da kneift es sich miteinander.
Es gibt hier einen konkreten Fall eines Host, die in den sozialen Medien extrem polarisierend gepostet hat. Da sagt man dann, dass das am Ende unserer Glaubwürdigkeit und unserem Vertrauen bei den Menschen mehr schadet, als dass es uns nutzt. In dem Sinne, dass wir unserem Auftrag gerecht werden und alle Menschen in diesem Land erreichen. Darum haben wir dann eben in dem Fall auch die Konsequenz gezogen und haben gesagt, wir beenden hier die Zusammenarbeit. Wichtig ist, dass wir alle die Dinge transparent machen. Also wenn wir mit Influencern zusammenarbeiten, dass wir sagen, okay, das sind Influencer, das sind keine Journalisten. Aber ihre Position ist uns wichtig, weil sie eine starke Stimme sind, die mit einer großen Community um die Ecke kommen.
Die Leute, die Social Media konsumieren, sind sich aber nicht immer bewusst, welcher Inhalt journalistisch oder aktivistisch ist. Wie können wir da mehr Bewusstsein schaffen?
Also zum einen muss man das in den Formaten schon sehr deutlich machen. Und dann müssen wir Menschen aller Altersgruppen deutlich machen, wie wichtig es ist zu wissen, von welchem Absender etwas kommt. Sie müssen wissen, dass im Netz nicht alle Inhalte in gleicher Weise geprüft, gesichert oder sorgfältig recherchiert sind.
Was mir Mut dabei macht, ist, dass ich den Eindruck habe, dass gerade junge Menschen schon noch ein gutes Gespür dafür haben, was Werbung ist und was journalistischer Content ist. Aber sich darauf allein zu verlassen, wäre tollkühn. Deshalb bieten wir ganz viele Formate an, um Menschen zu sensibilisieren.
"Was wir brauchen, sind glaubwürdige Medien. Und deshalb kann man privat so aktivistisch sein, wie man möchte, aber es sollte sichergestellt sein, dass das Vertrauen in unsere Medienmarken bleibt."
Wie geht ihr mit diesem Spannungsfeld um, dass Menschen die Echtheit von Informationen mittlerweile mit Authentizität gleichsetzen? Und dass authentischen Creators oft automatisch geglaubt wird?
Wenn die Menschen jemandem folgen, den sie super-cool finden und dem sie vertrauen, dann ist es wahnsinnig schwer, sie für Grenzen zu sensibilisieren und aufzuzeigen, wo der Influencer seinem Publikum zum Beispiel nur irgendwelche Produkte andrehen möchte. Hier geht es dann gar nicht darum zu sagen: „Hier, deine Influencerin, die taugt nichts“. Sondern zu empfehlen, darauf zu achten, dass die Influencerin transparent macht, was ihr Geschäftsmodell ist. Und nach welchen Regeln sie arbeitet.
Die künftigen Journalist:innen wachsen als Gen Alpha und Gen Z ganz selbstverständlich mit Social Media auf. Und: Sie sind im Krisenmodus – ob Klimakrise oder Inflation – und laufen auch bei FridaysForFuture mit. Inwiefern wird das den Journalismus verändern?
Die jungen Leute haben ein hohes Sicherheitsbedürfnis, weil sie gesamtgesellschaftlich große Unsicherheit erleben. Zum Beispiel aufgrund des Klimawandels oder aufgrund von Kriegen. Wenn dann Leute sagen, dass sie deshalb aktivistisch sein müssen, dann tun sie dem Journalismus damit keinen Gefallen.
Was wir brauchen, sind glaubwürdige Medien. Und deshalb kann man privat so aktivistisch sein, wie man möchte, aber es sollte sichergestellt sein, dass das Vertrauen in unsere Medienmarken bleibt. Das ist das Wichtigste. Wenn wir aktivistisch werden und den Leuten zwischen den Zeilen oder gar mit erhobenem Zeigefinger mitgeben, ihr solltet jetzt aber mal so oder so sein, dann geht das schief.
Das Interview ist ein Auszug aus dem #UseTheNews-Whitepaper zum "Jahr der Nachricht 2024", Ausgabe Journalismus.