Leonie Wunderlich
Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI)
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Overnewsed but underinformed?

Wie gut sind wir im permanenten Social-Media-Nachrichtenstrom informiert? Die Studienlage

2022-05-17 — Leonie Wunderlich

Informationsbildschirme in Bussen und Bahnen, Newsletter, Liveticker, Nachrichten-Apps, Soziale Netzwerke: Heutzutage gibt es eine nahezu unbegrenzte Zahl an Kanälen, über die man Nachrichten konsumieren kann – und zwar rund um die Uhr und mit dem Smartphone in der Tasche an jedem Ort. Dabei findet ein Großteil der Informationsnutzung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen online statt; sie verbringen täglich viereinhalb Stunden im Internet. Trotz dieser Nachrichtenflut und dem grundsätzlichen Potenzial der digitalen Informationsumgebung weisen Studien auf große Defizite in der Lese- und Nachrichtenkompetenz von Schülern und Schülerinnen sowie auf Defizite im Wissen über soziopolitische Themen in bestimmten Teilgruppen der Gesellschaft hin. Sind (junge) Menschen heutzutage unterinformiert, obwohl sie mit Nachrichten und Informationen überflutet werden? Im Rahmen des #UseTheNews-Projektes gibt Leonie Wunderlich vom Leibniz-Institut für Medienforschung einen Überblick der aktuellen Studienlage zum Zusammenhang zwischen Mediennutzung und Informiertheit.

 

In der wissenschaftlichen Forschung gibt es viele Studien, die untersuchen, wie die Mediennutzung mit dem Wissen bzw. der Informiertheit von Nutzerinnen und Nutzern zusammenhängt. Dabei ist die bisherige Forschung nicht eindeutig, wenn es um Wissenserwerb und Lerneffekte durch die Nutzung verschiedener Arten von (Online-)Nachrichtenmedien geht.

Was denke ich, wie viel ich weiß und wie gut bin ich tatsächlich informiert?

 

Zunächst muss man im Zusammenhang von Mediennutzung und dem Grad der Informiertheit zwischen zwei Arten der Informiertheit unterscheiden: der subjektiven und der objektiven Informiertheit. Während sich die subjektive Informiertheit auf die eigene Einschätzung des Wissensstandes über bestimmte Themen bzw. auf eine allgemeine Einschätzung der eigenen Informiertheit bezieht, kann die objektive Informiertheit einen Hinweis auf den tatsächlichen Wissensstand einer Person geben. Letzter wird meist anhand von Wissensfragen zu soziopolitischen Themen erhoben, es wird also Fakten- oder Strukturwissen abgefragt. Dabei kann die eigene Einschätzung, wie gut man Bescheid weiß, von dem tatsächlichen Wissensstand abweichen. Was sagt die Studienlage zum Zusammenhang zwischen dem Medienkonsum und der subjektiven bzw. objektiven Informiertheit?

Unschlüssige Studienlage zum Zusammenhang zwischen Mediennutzung und Informiertheit 

 

Mit der Etablierung sozialer Netzwerke als Informationsquelle haben in den letzten Jahren viele Studien untersucht, ob deren Nutzung sich positiv auf das (politische) Wissen der Nutzerinnen und Nutzer auswirkt. Dabei gibt es auf der einen Seite Studien, die zeigen, dass das Lesen von informativen Artikeln auf Facebook zwar politisches Wissen (objektive Informiertheit) generieren kann. Gleichzeitig führt die Rezeption von Facebook-Artikeln aber zu einer Überschätzung der Selbstwahrnehmung des Wissens (subjektive Informiertheit) auf Seiten der Nutzenden. Weiterhin hat eine Forscherin in einem Online-Experiment mit einer Facebook-Timeline herausgefunden, dass die Mehrzahl der Teilnehmenden politische Inhalte erinnern und zum Teil auch detailliert beschreiben konnten. Allerdings hat sich auch herausgestellt, dass sich Nutzerinnen und Nutzern sozialer Medien (Facebook und Twitter) in Bezug auf ihren Wissensstand nicht von Nichtnutzenden unterscheiden.

 

Auf der anderen Seite gibt es Studien, die auf einen fehlenden Zusammenhang zwischen dem Nachrichtenkontakt auf Facebook und dem politischen Wissen hinweisen. Ein deutsches Forschungsteam hat beispielswiese gezeigt, dass Personen, die Facebook für Nachrichten nutzen, nicht über ein höheres Maß an objektivem Wissen verfügen als Personen, die Facebook überhaupt nicht nutzen. Ergebnisse einer Studie, bei der Personen drei Mal hintereinander befragt wurden (Panelerhebung), zeigen sogar, dass die die Nutzung von Facebook einen Rückgang des Wissenserwerbs bewirken kann, während die Nutzung von Twitter den Erwerb von Wissen über aktuelle Themen positiv beeinflusst.

Informiertheit ist auch von der Art der Quelle abhängig

 

Insgesamt deuten Studien darauf hin, dass der Grad der Informiertheit auch von der Art der Quelle abhängt. Beispielsweise zeigen die Ergebnisse einer aktuellen Panelstudie positive Lerneffekte bei der Nutzung traditioneller Nachrichtenmedien wie Printzeitungen und Rundfunk sowie dem Konsum von online Nachrichtenwebsites, nicht aber bei der Nutzung sozialer Medien. Die Autoren schlussfolgern, dass die Informationsnutzung in sozialen Medien keine Auswirkungen auf das Lernen hat - unabhängig davon, wie politisch interessiert die Nutzerinnen und Nutzer sind. In einer länderübergreifenden Studie wurde ebenfalls herausgefunden, dass sich der Kontakt mit „hard news“, also politischen und wirtschaftlichen Themen, die insbesondere von Zeitungen und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten behandelt werden, positiv auf das politische Wissen auswirkt, während die Nutzung von Quellen, die eher „soft news“ betonen (kommerzielle Rundfunkanstalten und Boulevardblätter), nicht zum Wissenserwerb beiträgt.

Erklärungsansätze: Wissen vs. Lernen durch Mediennutzung

 

Ob und wenn ja, wie viel Einfluss die Nutzung (sozialer) Medien auf den Grad der Informiertheit ihrer Nutzerinnen und Nutzer hat, kann bislang also nicht eindeutig beantwortet werden. Vor allem im Zusammenhang mit der tatsächlichen Informiertheit ist es wichtig zu unterscheiden, ob in einer Studie der Wissensstand der Nutzenden einmalig abgefragt wurde oder, ob im Rahmen einer Längsschnittstudie der Erwerb von Wissen durch mehrmals hintereinander stattfindende Befragungen erhoben wurde. Zum Teil können widersprüchliche Ergebnisse auf diese Feinheiten zurückgeführt werden. Während in sogenannten Querschnittsstudien der Zusammenhang zwischen der Nutzung und dem Wissen einer Person zum Zeitpunkt X untersucht werden kann, ist es durch Längsschnittstudien möglich, potenzielle Effekte der Nutzung auf den Grad der Informiertheit also den Erwerb von Wissen im Laufe der Zeit nachzuzeichnen. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass Medien einen Teil des Repertoires an Informationsquellen darstellen und sich Nutzerinnen und Nutzer Wissen auch über andere Wege wie persönliche Gespräche oder Erfahrungen aneignen können. Hinzu kommt, dass der alleinige Fokus auf die Nutzung sozialer Medien für Informationen zu kurz greift; vielmehr muss berücksichtigt werden, mit welchen anderen Quellen (Fernsehen, Online-Zeitungen, Radio, etc.) diese kombiniert werden. Daneben beeinflussen individuelle Eigenschaften, wie beispielsweise das generelle Interesse an Politik und Nachrichten, den Wissenserwerb.

Soziale Medien: Informationsverarbeitung bei (nicht-) beiläufigem Konsum von Nachrichten

 

Zuletzt ist die Art und Weise der Informationsnutzung zu berücksichtigen. Wenn es um Nachrichtennutzung und soziale Netzwerke geht, ist häufig von passiver bzw. inzidenteller Nutzung die Rede. Das bedeutet, dass Nutzerinnen und Nutzer dort beiläufig auf nachrichtliche Inhalte stoßen und nicht aktiv danach suchen. Ein Großteil der Forschung zum Wissenserwerb durch die Nutzung sozialer Medien konzentriert sich dabei auf jene zufälligen Nachrichtenkontakte, die zu einem aktiven Engagement und Wissensgewinn führen. Allerdings ist auch der umgekehrte Fall denkbar, in dem Informationen nur überflogen werden. Beispielsweise beschäftigen sich zwei Forscherinnen der Universität Hamburg mit der Frage, welche Wissens- und Lernpotenziale durch die Nutzung sozialer Medien tatsächlich möglich sind – auch wenn Nutzerinnen und Nutzer durch ihren Newsfeed scrollen, ohne dass ein Beitrag ein aktives Engagement auslöst – und haben dazu ein Modell der Informationsverarbeitung entwickelt. Demnach sind bei dem automatischen bzw. beiläufigen Pfad der Informationsverarbeitung in sozialen Medien keine tatsächlichen Wissenseffekte zu erwarten, sondern es wird lediglich das Gefühl, informiert zu sein, erzeugt.

Schlecht informiert trotz Nachrichtenflut? 

 

Führen der permanente Nachrichtenstrom und die prinzipiell unbegrenzten Informationsmöglichkeiten im digitalisierten Informationsumfeld also nur zu einem Gefühl der Informiertheit ohne dass Nutzerinnen und Nutzer sich dabei tatsächlich viel Wissen aneignen? Wie immer in der Wissenschaft ist die Antwort komplex. Ein Großteil der Nachrichtennutzung findet heutzutage online und vermehrt auch über soziale Netzwerke statt, wo der Kontakt mit nachrichtlichen Inhalten eben nicht bewusst, sondern beiläufig erfolgt. Diese Art der Nutzung ist eher dazu geeignet lediglich das Gefühl der Informiertheit zu fördern und trägt weniger zum tatsächlichen Wissenserwerb bei. Daher ist anzunehmen, dass insbesondere junge Menschen durch den permanenten und inzidentellen Medienkonsum das Gefühl bekommen, einen guten Überblick über die aktuelle (politische) Lage zu haben, tatsächlich aber wenig explizites Wissen über soziopolitische Themen erwerben. Letztlich ist weitere Forschung erforderlich; hier sind Trackingstudien, bei denen die tatsächliche (App-)Nutzung beispielsweise über das Smartphone aufgezeichnet wird, vielversprechend, da diese Form der Datenerhebung nicht auf die Selbstauskunft und Erinnerungsleitung der Nutzerinnen und Nutzer angewiesen ist.